Ethik

Die vorbildliche Haltung und Einstellung, die Herr Prof. Dr. med. Hampel seinem Beruf und den ihm anvertrauten Patienten entgegenbrachte, spricht aus einigen seiner Veröffentlichungen. Am 21. März 1975 hielt er in der Aula des Wieland-Gymnasiums in Biberach an der Riss den Vortrag „Der Arzt als Medizin“. Der Wortlaut des Vortrages wurde durch die Karl Thomae GmbH, Biberach an der Riss, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wege und Gestalten“  veröffentlicht. 

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Der Arzt als Medizin

Der wissenschaftlichen Forschung verdanken wir entscheidende Fortschritte in der Therapie vieler Krankheiten, die noch vor Jahrzehnten unbekannt oder nicht mit Aussicht auf Erfolg zu behandeln waren. Freilich ist eine streng kau- sale Therapie wie z. B. bei Infektionskrankheiten die Ausnahme geblieben. Ein Aspekt der ebenso segensreichen symptomatischen Behandlung verdient unsere besondere Aufmerksamkeit:

Für viele Kranke kann ein gutes Wort oder eine andere Geste der aufrichtigen Zuwendung eine hilfreichere Medizin sein als die noch so gute Arznei, die bequem und wohlverpackt, theoretisch nicht immer wohl- begründet, als Medikament dar- gereicht wird. Hier setzt die Wirkung des Arztes als Heilfaktor ein. Bezeichnenderweise ist dieses seit alters her bekannte Phänomen gegenwärtig viel besser als Störfaktor im Rahmen einer klinischen Prüfung von Pharmaka untersucht. Es ist eben methodisch schwieriger, umgekehrt die Wirkung des Arztes als Medizin experimentell bei dieser Art der Fragestellung zu bearbeiten. Natürlich ist die Wirkung des Heilfaktors Arzt begrenzt und kann bei arzneimittelabhängigen Erkrankungen, die die überwiegende Mehr- zahl darstellen, nur als ergänzendes therapeutisches Prinzip eingesetzt werden. Es besteht kein Zweifel, daß der Arzt bei geeigneten Bedingungen mit einer pharmakologisch annähernd wirkungslosen Substanz (Placebo) offenbar psychogene Behandlungserfolge erzielen kann, die denen eines Medikamentes ähneln. Neben mehreren Faktoren, die den Eintritt dieses Effektes beeinflussen, ist die Krankheitsursache und das Arzt-Patienten- Verhältnis zu nennen.

Vom Arzt her ist das Dienenwollen Voraussetzung echter Zuwendung. Sie ist in gewissem Umfang erlernbar. Am Anfang der Ausbildung erleichtert ärztliche Entscheidungen die Vorstellung, die eigene Mutter oder der Vater werde – hier im Krankenbett vor uns liegend – unmittelbar betroffen. Eine entsprechende Motivation gibt gelegentlich Anlaß zu der Überlegung, ob Diagnostik und Therapie in vernünftigem Verhältnis zum erwarteten Nutzen für den betreffen- den Kranken stehen. Später mag die durch jahrelange Praxis erworbene Sicherheit der gebotenen Würdigung des Einzelschicksals nicht immer förderlich sein.

Aber schon die bloße Anwesenheit des Arztes und seine erkennbare Bereitschaft zum Dienen können dem Patienten ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln, das einen vielfachunterschätzten therapeutischen Faktor darstellen kann. Dies gilt besonders auch für unheilbare Erkrankungen. Freilich, ein gewisses Maß an Vertrauen des Patienten zu seinem Arzt ist notwendig, um ihn als Medizin wirksam werden zu lassen. Ist dagegen – berechtigt oder nicht – Mißtrauen geweckt, nähert sich bei bestimmten Symptomen die Zahl der gestellten Diagnosen der der konsultierten Mediziner, kann die Medizin „Arzt“ zur bitteren Pille werden und die Angst vor vorhandenen oder eingebildeten Krankheiten ganz zu Unrecht in den Vordergrund rücken. Aus vielen anderen Gründen läßt sich eine optimale Beziehung zwischen Krankem und Arzt nicht immer erreichen. Kritik an Ärzten hat stets eine gewisse Popularität. Jedoch sollten wie auch immer geartete Eingriffe in das Arzt- Patienten-Verhältnis nicht mehr als unvermeidbar erfolgen. Utopisch wäre eine „Strategie“, die letztlich nur noch die Produktion von Mediziningenieuren anstrebt, käme sie auch einer noch so romantischen Wissenschaftsgläubigkeit entgegen. Der Arzt als Medizin dürfte auch langfristig ein wesentlicher Bestandteil der Therapie bleiben. 

 

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